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23. März 2021Quickie: Erhebungstechniken für Anforderungen
27. Juli 2022Priorisierung mit dem Kano Modell
Nach unserer Vorstellung der MoSCoW Methode und den einfacheren 100-Dollar- und Skala-Methoden möchten wir heute im dritten Teil unserer Serie auf eine weitere Methode eingehen, die immer wieder erfolgreich bei der Priorisierung von Anforderungspools eingesetzt wird. Ziel dieser Methode ist die Zufriedenheit der Benutzer Deines Produkts/Projekts oder einer Dienstleistung zu maximieren. Das erreichen wir nur dadurch, wenn wir drei Parameter identifizieren, an welchen sich Anforderungen messen müssen: Begeisterung, Leistung und Erwartung (bzw. Basismerkmal).
Noriaki Kano, Entwickler und Namensgeber des Kano Modells und ehemaliger Professor der Tokyo University of Science, verfolgte mit seiner Herangehensweise das Ziel, die (Weiter-) Entwicklung eines Produkts bzw. einer Dienstleistung stark an der erwarteten Kundenzufriedenheit auszurichten und durch die Priorisierung einen planbaren Umfang der umzusetzenden Anforderungen zu schaffen. Dies steht im Gegensatz zu der weiterverbreiteten Annahme, dass jegliche Weiterentwicklung eines Produkts automatisch die Zufriedenheit erhöht.
Entstanden ist das Modell bereits 1978 und wird in den unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft erfolgreich eingesetzt. Auch in der Softwareentwicklung leistet das Modell einen sehr guten Dienst und sollte bei einer anstehenden Planung zur Neu- oder Weiterentwicklung eines Produkts in Betracht gezogen werden.
Inspiriert wurde Noriaki Kano übrigens durch die Zwei-Faktoren-Theorie von Frederick Herzberg, amerikanischer Professor der Arbeitswissenschaft, der schon 1959 die Motivatoren und Hygienefaktoren beschrieb, die direkten Einfluss auf die Zufriedenheit und Unzufriedenheit am Arbeitsplatz bzw. auf die Arbeitssituation nehmen.
Merkmale eines Produkts
Das Kano Modell beschreibt fünf Merkmale, die Funktionen oder Anforderungen Deines Produkts/Projekts zugeordnet werden. Die drei wichtigsten Merkmale, mit denen wir uns im Projektalltag ständig befassen sind:
- Basismerkmale
- Leistungsmerkmale
- Begeisterungsmerkmale
Hinzu kommen noch zwei Merkmale, die wir in diesem Artikel nicht näher betrachten:
- Unerhebliche Merkmale, die für den Kunden nicht von Belang sind, egal ob diese zur Verfügung gestellt sind oder fehlen
- Rückweisungsmerkmale, die sich bei einem Vorhandensein negativ auf die Kundenzufriedenheit auswirken, sich beim Fehlen jedoch positiv auswirken
Bevor wir Anforderungen/Funktionen in den drei Dimensionen (Basis, Leistung, Begeisterung) einordnen können, schauen wir uns zunächst an, welche Bedeutung diese Merkmale haben.
Basismerkmale
Eine Frage als Einstieg: welche Funktionen erwartet Dein Kunde mindestens, um Dein Produkt vernünftig nutzen zu können?
Die Antwort dürfte eine Liste von Anforderungen sein, die grundsätzlich umgesetzt sein müssen und bei einem Fehlen mit großer Wahrscheinlichkeit für Irritation beim Benutzer führen.
Als Beispiel betrachten wir einen Online-Shop. Hier sind eine Produktliste, die Anzeige von Produktinformationen und ein Bestellmöglichkeit absolut notwendig. Diese Funktionen sind (natürlich auf hoher Flugebene) als Basismerkmale zu bewerten und stellen eine grundlegende Akzeptanz des Produkts/Projekts sicher.
Du kannst diese Funktionen als Fundament sehen, auf welchem Du durch die anderen beiden Merkmale die Zufriedenheit stetig erhöhen kannst. Ein Produkt wird nicht allein durch die Bereitstellung von Basisfunktionalität zum Erfolg.
Leistungsmerkmale
Interessant wird es mit den möglichen Leistungsträgern Deines Produkts/Projekts. Dies sind Funktionen oder Eigenschaften, die die Zufriedenheit der Kunden linear wachsen lassen.
Um beim Beispiel des Online-Shops zu bleiben: eine sortier- und filterbare Produktliste trägt ebenso zur Zufriedenheit bei wie das zur Verfügung stellen einer weit akzeptierten Zahlungsmethode im Bestellprozess.
Diese Funktionen erfinden das Rad nicht neu, steigern aber die Zufriedenheit enorm – und dadurch auch direkt die Akzeptanz Deines Produkts.
Begeisterungsmerkmale
Kommen wir zuletzt zu Funktionen, die die Kundenzufriedenheit exponentiell steigern.
Nehmen wir wieder unseren Online-Shop als Beispiel: Stellen wir Produktbewertungen dar, die nicht nur die Meinung der eigenen Kunden wiedergibt, sondern auch Bewertungen externer Portale oder Shops berücksichtigt, schaffen wir mehr Vertrauen in die von uns angebotenen Produkte. Bieten wir passende Produktempfehlungen aufgrund eines Vergleichs von Kundenprofilen an, fühlt sich der Kunde verstanden und ist im besten Fall auch dankbar für eben diese Produktempfehlung. Selbstredend spiegelt sich die Zufriedenheit in einer höheren Anzahl an Bestellungen.
Ob augenscheinlich neue Funktionen, die sonst kein Konkurrenzprodukt besitzt, oder Details, die Funktionen im Vergleich zur Konkurrenz unschlagbar machen – sie sorgen für den wertvollen WOW-Moment, übertreffen in der Regel die Erwartungen und begeistern dadurch den Benutzer Deines Produkts.
Wie aber finden wir nun heraus, welches Merkmal wir einer Anforderung zuweisen können?
Kundenmeinungen sind das A und O
Ob Deine Kunden jetzt Kunden im Sinne eines Käufers in einem Shop sind oder Stakeholder, die Anforderungen an Dein Produkt/Projekt stellen, wichtig ist deren Meinung zu geplanten Funktionen. So können wir direkt auch einen möglichen Geschäftswert ableiten, der uns wiederum bei der Priorisierung eines Product Backlogs hilft.
Hast Du in einem früheren Schritt Personas für Dein Produkt/Projekt erstellt? Nutze auch diese und betrachte die Anforderungen aus den jeweiligen Blickwinkeln!
Wie befragen wir unsere Kunden nun, um Anforderungen und Funktionen in die oben genannten Kategorien einordnen zu können?
Wir behelfen uns hierbei mit einem aufbereiteten Fragebogen, welcher
- Anforderungen/Funktionen auflistet und beschreibt, zu denen man eine Kundenmeinung einholen möchte,
- zu jeder Anforderung zwei Fragen stellt (positiv und negativ) und
- aufgrund der Antworten eine Einordnung zulässt und dies im besten Falle automatisch tut.
Wie gerade erwähnt, werten wir zwei Fragen aus:
- Wie wird es empfunden wenn die genannte Anforderung bereitgestellt wird?
- Wie wird es empfunden wenn die genannte Anforderung NICHT bereitgestellt wird?
Wo Fragen sind bedarf es auch Antworten. Gebe diese vorformulierten Antworten zur Wahl vor, deren Wortlaut Du natürlich anpassen kannst:
- Ich würde mich sehr darüber freuen
- Das setze ich voraus
- Ist mir egal / Darauf lege ich keinen besonderen Wert
- Ich kann damit leben / Das nehme ich gerade noch hin
- Das würde mich stören
Hier ein Beispiel, wie Dein Befragungsbogen aussehen könnte (in englischer Sprache):
Eine Einordnung der jeweiligen Anforderung/Funktion durch die gegebenen Antworten erreichen wir durch eine Matrix, welche wie folgt aufgebaut ist.
Wir nehmen wieder unseren Online-Shop als Beispiel. In unserem Anforderungspool befindet sich eine Anforderung, die einen Chat als Supportkanal beschreibt, der potentiellen Kunden zur Kommunikation mit den Mitarbeitern des Shops bereitgestellt werden soll. Wir befragen dazu einen Kunden:
- Frage: Wie würdest Du es empfinden wenn wir dieses Feature im Shop bereitstellen? Antwort: Würde ich mögen!
- Frage: Wie würdest Du es empfinden wenn wir dieses Feature NICHT im Shop bereitstellen? Antwort: Würde mir nicht gefallen!
Schauen wir uns die Antworten nun genauer an. Nach der vorgestellten Matrix würde die Anforderung ein Leistungsmerkmal darstellen, welches zur Zufriedenheit der Kunden beiträgt.
Wenden wir diese Methode nun auf alle gesammelten Anforderungen an, erhalten wir einen sortier- und filterbaren Pool, der eine weitere Planung vereinfacht und das Produkt/Projekt klarer und greifbarer macht. Dies gelingt jedoch nur, wenn Du den Ergebnissen einer solchen Analyse ein entsprechendes Gewicht einräumst und diese auch über Deine persönlichen Vorlieben stellst!
Übrigens: Vorlagen für Fragebögen gibt es im Internet genügend. Passe diese an Deine Bedürfnisse an!
Nutze dieses Instrument, um alle Personen zu befragen, die relevant für eine Analyse Deines Produkts/Projekts sind. So erhältst Du ein genaueres Bild über alle Personas und Stakeholder hinweg.
Handelt es sich um einen überschaubaren Pool an bewerteten Anforderungen/Funktionen bietet sich auch eine Visualisierung der Ergebnisse an, zum Beispiel mit einem Streudiagramm. Dies macht Vorstellungen und Diskussionen zu den Ergebnissen erheblich einfacher.
Einsatz
Du kannst das Kano Modell nicht nur bei einem bestehenden Anforderungspool gewinnbringend einsetzen.
Produkt- und Dienstleistungsstrategien
Befindest Du Dich mit Deinem Produkt oder Deiner Dienstleistung in einem dynamischen Markt, welcher immer neue oder veränderte Anforderungen mit sich bringt, kannst Du das Kano Modell für eine ständige und fortlaufende Analyse nutzen. Dabei gilt es, die Konkurrenz im Blick zu behalten. Leistungsmerkmale werden im Laufe der Zeit zu Basismerkmalen, Begeisterungsmerkmale zu Leistungsmerkmalen. Dieses Wissen kannst Du für die Weiterentwicklung und Verbesserung Deines Produkts nutzen.
Nur wer die Anforderungen und ihren Wert für die Kunden kennt, erhält auch dauerhaft seinen Kundenkreis.
Unternehmensstrategien
Legen wir den Betrachtungswinkel höher und bewerten wir anstatt der Anforderungen eines Produkts zum Beispiel unsere Unternehmensprodukte selbst, lassen sich mithilfe des Kano Modells auch strategische Entscheidungen zum Produktportfolio treffen. Dies ist vor allem in umkämpften Marktsegmenten wichtig.
Letztendlich lassen sich so auch Services, Organisationseinheiten und Weiteres im Enterpriseumfeld bewerten, analysieren und dadurch planen.
Fazit
Das Kano Modell hat sich bewährt und wir empfehlen Dir, es bei Deinem nächsten Produkt oder Projekt auszuprobieren! Uns hat es besonders im agilen Umfeld geholfen, da man so sehr schnell den Umfang eines MVP umreißen und bestimmen kann. Führt man zudem in regelmäßigen Abständen eine Bewertung durch, priorisiert sich ein guter Teil des Product Backlogs schon fast von alleine.
Beobachten konnten wir auch, dass durch eine Auswertung der Antworten aller involvierten Stakeholder auch interessante Diskussionen entstehen, die unter Umständen eine nachträgliche Priorisierung der Anforderungen erfordern. Zum Glück ist aber auch hier nichts in Stein gemeißelt.
Passe Fragebögen Deinen Bedürfnissen und Deinem Umfeld an! Befrage Stakeholder nicht nur sondern präsentiere ihnen auch das Ergebnis. Jede Folgediskussion aufgrund Deiner Analyse ist wichtig und wertvoll. Zudem ist dies ein eleganter Weg, um Stakeholder in die Planungen einzubeziehen und dadurch mehr Akzeptanz für Dein Produkt oder Projekt zu bekommen.
Mehr Informationen zum Kano Modell: Wikipedia – Kano-Modell